[first published on Senfblog.de January 7th, 2013]

Es hat schon etwas nos­tal­gis­ches einen 8bit-Arcade-Automaten zu sehen. Inzwis­chen außer regionalen Aus­nah­men zu teuren Retro-Spielzeugen degradiert, haben die Auto­maten zusam­men mit den ersten Atari Heim­com­put­ern Ende der 1970er den kom­merziellen Beginn für die Videospielin­dus­trie ein­geläutet. Inmit­ten dieses Auf­stiegs geboren, habe ich dann die näch­ste Gen­er­a­tion an Kon­solen erlebt, aber mit gle­ichem Effekt. Ich habe mich vor dem Sega Gamegear oder dem Super Nin­tendo immer gefragt, was macht das Spiel eigentlich wenn ich nicht mehr spiele. Also: wohin geht Sonic, der blaue Igel, wenn ich ihn nicht mehr gold­ene Ringe sam­meln lasse und wo schläft der kleine dicke Mario in der Nacht? Dieser Frage folgt der sehr orig­inelle Disney-Animationsfilm „Wreckt-It Ralph“ vom Regis­seur einiger „Simp­sons“- und „Futurama“-Folgen (ja auch Zeichen­trick­se­rien haben Regis­seure), Rich Moore. Der Debüt­film von dem TV-affinen Moore macht fast alles richtig und bietet endlich mal wieder einen neuen Licht­blick am Zeichentrick-, bzw. Ani­ma­tion­shim­mel der sonst mehr und mehr dominiert wird durch Sequels und schlecht recycelte Abklatschen. Von der Idee bis zur Lein­wand vergin­gen über 20 Jahre und der Titel wech­selte von „High Score“, „Joe Jump“, „Reboot Ralph“ bis zu „Wreck-It Ralph“ (2011). Die lange Entwick­lung hat dem Film sehr gut getan, alleine weil so unglaublich viel in der Videospiel-Welt in den let­zten zwei Jahrzehn­ten passiert ist.

Wenn Nacht einkehrt und die Arcade­halle geschlossen wird, dann ver­lassen die Spielcharak­tere ihre Auto­maten und kön­nen sich frei inner­halb der Automaten-Welt bewe­gen. Sie reisen mit einer Bahn durch die Kabel von Spiel zu Spiel und ver­brin­gen ihre Zeit nicht wirk­lich anders als wir; in Bars, Appart­ments und bei Feiern. Ralph (gesprochen von John C. Reilly, „Mag­no­lia“) ist der Bösewicht aus dem 8bit-Arcade-Spiel „Fix-It Felix Jr.“, bei dem er Häuserblocks zer­stört, die dann von dem Helden Felix (Stimme: Jack McBrayer, „30 Rock“) wieder repari­ert wer­den, der dafür dann Medaillen bekommt und gefeiert wird. Ralph ist deprim­iert mit seiner Rolle als ein­samer Böser und beschließt eines Tages, ent­ge­gen aller Arcade-Regeln, sein Spiel auch am Tag zu ver­lassen um wie Felix auch eine Medaille zu ergat­tern und so durch Anerken­nung der Ein­samkeit zu ent­fliehen. Er steigt in das Shooter-Spiel „Hero of Duty“ ein und klaut die Sieger-Medallie. Gejagt von den Spielcharak­teren fliegt er in einem Raum­schiff und nimmt aus Verse­hen ein Cy-Bug, eine Art mech­a­nis­ches Insekt und der Bösewicht aus dem Spiel „Hero of Duty“, mit in das Kart-Rennspiel „Sugar Rush“. In der Schlaraffenland-ähnlichen Umge­bung ver­liert er bei der Crash­landung sowohl Medaille als auch Monster-Insekt. Bei der Suche nach seiner geklauten Ausze­ich­nung trifft er Vanel­lope (Sarah Sil­ver­man, „There’s some­thing about Mary“), ein kleines Mäd­chen und Spielcharak­ter aus dem Renn­spiel. Vanel­lope entwen­det die Medaille und benutzt sie als Wet­tein­satz für das Qual­i­fy­ing für den Auswahlbild­schirm am näch­sten Spieltag. Das Mäd­chen ist ein soge­nan­nter Glitch, ein defek­ter Avatar (und kann dadurch das Spiel nicht ver­lassen, wie Ralph oder andere), ein Pro­gramm­fehler und wird auf Grund dieses Sta­tus von den anderen Charak­teren gemobbt. Diese Außenseiter-Rolle verbindet sie mit Ralph und er hilft ihr nach anfänglicher Wut über die gestoh­lene Goldmedaille beim Train­ing für das Qual­i­fy­ing. Inzwis­chen sucht Felix nach Ralph, weil dem Spiel ohne den Gegen­spieler die Abschal­tung droht. Zusam­men mit dem weib­lichen Sergeant Cal­houn (Jane Lynch, „The 40-Year-Old-Virgin“) aus dem „Hero of Duty“-Spiel sucht er nach Ralph und dem gefährlichen Cy-Bug. Das Insekt ver­dop­pelt sich mit jeder Nahrung, frisst alles und bedroht dadurch die „Sugar Rush“-Welt. King Candy (Alan Tudyk, „Tucker & Dale vs. Evil), der König von „Sugar Rush“ ent­puppt sich als Turbo, ein Spielcharak­ter aus einem alten Arcade-Automaten, dessen Pop­u­lar­ität auf Grund neuer Spiele sank. Turbo hat die Pro­gram­mierung von „Sugar Rush“ so manip­uliert, dass Vanel­lope zum Glitch wurde und nur durch einen Neustart des Sys­tems (der wird erre­icht, indem sie die Ziellinie über­quert) wieder zur alten wird. Beim Qualifying-Rennen wird die Welt von den inzwis­chen schier unendlichen Insek­ten Cy-Bugs über­fallen und Ralph kann in let­zter Sekunde durch seine Kraft die Ret­tung her­beiführen und Turbo ver­nichten. Diese Zusam­men­fas­sung klingt sehr kom­pliziert, aber die Hand­lung war wirk­lich nachvol­lziehbar und nicht so ver­wirrend, wie das hier.

„Wreck-It Ralph“ erin­nert sehr an „Toy Story“ durch seine Prämisse der leben­den Spielcharak­tere, aber den­noch ist er eigen und inno­v­a­tiv. Er folgt dem klas­sis­chen Coming-Of-Age-Zeichentrick-Muster, aber bietet durch die Videospiel-Welt einen unge­wohn­ten Reich­tum an Details und Charak­teren auf, sowie eine ganz neue Fläche für den Humor. Gespickt mit Querver­weisen auf Filme und Videospiele fühlt sich „Wreck-It Ralph“ an wie eine kleine nos­tal­gis­che Reise durch die Geschichte der Videospiele und dadurch meiner Kind­heit. In dem Tre­f­fen der Bösewichte in der Selb­sthil­fe­gruppe, das stark an eine Anony­men Alkoholiker-Treffen erin­nert, sehen wir neben Ralph, Bowser aus der Nin­tendo Reihe, Doc­tor Eggmann von Sonic, M. Bison aus Street Fighter, Neff aus Altered Beast, die komis­chen Dinger aus Pacma… Die Liste von kleinen Cameo-Auftritten ist groß und trotz­dem ver­lor sich der Film nicht in Zitaten, weil er in erster Linie an die Ziel­gruppe der Kinder gerichtet ist, die die meis­ten der Ver­weise nicht ver­ste­hen kön­nen. Das Spiel „Hero of Duty“ ist ein klarer Ver­weis auf die Ego-Shooter-Serie „Call of Duty“ und Paul Ver­ho­evens viel zu oft missver­standenem Dystopie-Film „Star­ship Troop­ers“. Die Ori­en­tierungslosigkeit der Charak­tere und die dum­men Sprüche kön­nen als kleine Seit­en­hiebe auf die Shooter-Spiele gese­hen wer­den. „Wreck-It Ralph“ ist gespickt mit kleinen Witzen, wie wenn z.B. Felix, dessen Ham­mer alles repari­ert seine Git­ter­stäbe zertrüm­mern will, sie mit Schlä­gen nur noch größer macht. Diese Witze ver­ste­hen jung und alt; oft verken­nen Filmemacher bei Zeichen­trick ihr Pub­likum und spicken Filme mit Erwachsenen-Witzen, weil sie wis­sen, dass Kinder so oder so Zeichen­trick lieben. Dieser Film macht es sich nicht so leicht, son­dern ver­sucht wirk­lich sowohl groß und klein gerecht zu wer­den. Es gibt schier end­lose Dinge zu ent­decken: einzelne Charak­tere die nur in abge­hack­ten Bewe­gun­gen unter­wegs sind, Pac­man auf einer Party (die Mund­be­we­gung, die Farbe; einer der Ver­weise die wirk­lich nur die Erwach­se­nen ver­ste­hen), Frog­ger in der Bar… Stilis­tisch bleibt sich der Film seiner Linie treu. Er sieht aus wie ein Disney-Film und nur ab und zu wie ein Videospiel. Schön auch ist, dass wenn die Ver­gan­gen­heit gezeigt wird, kleine Rillen über das Bild laufen und den Retro-Effekt so sehr sim­pel aber sub­til ver­stärken. Der Hauptcharak­ter Ralph erin­nert ein wenig an Don­key Kong und wer besser hätte den ein­samen Riesen sprechen kön­nen als der immer bemitlei­denswerte John C. Reilly (der meiner Mei­n­ung nach langsam aber sicher Bill Mur­ray die Rollen weg klaut)? Ralph ist groß, gutherzig, aber gefan­gen in den Regeln des Sys­tems, die ihn vere­in­samen lassen. Der Zynis­mus in „Wreck-It Ralph“ macht vor nichts Halt und Ralphs Unzufrieden­heit über die Kon­for­mität ist klare Sys­temkri­tik; Arbeit, Schlafen und bloß nicht anders sein, das ist was hier angeprangert wird. Die Stimme der Vanel­lope spricht Sarah Sil­ver­man genau wie sie auch als Come­dian ist; mäd­chen­haft, aber mit erwach­senem Humor und voller vor­lauter kleiner Hiebe. Genial ist auch die Wahl Jack McBray­ers für Felix, dessen Kar­riere noch rel­a­tiv jung ist, der aber durch seine Rolle als Ken­neth in „30 Rock“ ein Kult-Following erfährt. Er spricht Felix als herzensguten, aber kom­plett naiven Vorzeige-Amerikaner, der außer­halb seiner Gesetze kom­plett über­fordert ist. Während des Films musste ich immer wieder an die großar­tige Doku­men­ta­tion „The King of the Kong“ denken, die die Reko­rd­jagd bei dem Arcade-Game-Klassiker Don­key Kong zeigt und das Schick­sal eines Mannes der ein­fach in irgen­det­was beson­ders gut und anerkannt sein wollte, genau wie Ralph. Der Arcade-Hallen Besitzer in „Wreck-It Ralph“ trägt ein Schiedsrichter-T-Shirt, genau wie Mr. Lit­wak der Arcade-Hallen-Besitzer aus der Doku­men­ta­tion, also ein weit­erer Erwach­se­nen­ver­weis. Rich Moore merkt man die Arbeit an den in erster Linie für junge Erwach­sene konzip­ierte Serien „Futu­rama“ und „Simp­sons“ extrem an. Der Humor als Mis­chung aus Bild­witzen und einer Reihe von beißen­den Kom­mentaren über unsere Gesellschaft. Das einzige Manko an „Wreck-It Ralph“ ist die Musik, die teil­weise extrem fehl am Platz wirkt und zu pop­pig ist. Beispiel­sweise läuft „Shut up and Drive“, wenn Vanel­lope zum ersten Mal Kart fährt. Nor­maler­weise bestechen Disney-Filme immer durch ihren Sound­track, hier kann ich mich an kein Lied erin­nern und das Videospiel-Thema wird nur hier und da in musikalis­cher Form aufgenom­men. Es gibt keinen Catchy-Hauptsong wie bei „Tarzan“ oder „The Lion King“ und lei­der wird die Musik dem Rest dieses genialen Films nicht gerecht.

„Wreck-It Ralph“ ist eine orig­inelle Mis­chung aus nos­tal­gis­cher Videospiel-Reise und großen kindgerechten Emo­tio­nen. Für mich ist er der beste Zeichen­trick­film des let­zten Jahres und er wird sofort in meine Samm­lung auf Blu-Ray kom­men. Wenn nicht die Musik so unpassend gewe­sen wäre, dann wäre „Wreck-It Raplh“ in eienr Reihe mit „Toy Story“ zu nen­nen. So ist er ein wirk­lich sehr guter Animations-Film. Ich freue mich sehr auf den näch­sten Rich Moore Film und addiere einen weit­eren Regis­seur auf meine Watchlist.