[first published on Senfblog.de September 30th, 2012]

Die Hand­lung in Jacques Tatis grandiosem Film „Play­time“ von 1967 zusam­men­z­u­fassen ist kaum möglich, beziehungsweise klingt es auf Papier nach viel weniger als es eigentlich ist. „Play­time“ erzählt alles und nichts. Tati schickt uns Zuschauer als Regis­seur und sich in Form seines filmüber­greifenden Charak­ters Mon­sieur Hulot durch das Paris seiner Vorstel­lung. Es ist ein futur­is­tis­ches, mod­ernes Paris, bei dem alles aus Glas– und Stahlkon­struk­tio­nen besteht und wie ein großes Labyrinth anmutet. Der Regis­seur Jacques Tati hat über 6 Monate an den Kulis­sen bauen lassen und so eine Stadt geschaf­fen die irgendwo zwis­chen den 1960ern der Zukunft schwebt. Die Kosten waren so hoch, dass der Film sein Bud­get nicht wieder ein­spie­len konnte.

Eine amerikanis­che Reiseg­ruppe besucht dieses Paris und gle­ichzeitig möchte Mon­sieur Hulot jeman­den tre­f­fen. Das ist was ich über die Hand­lung schreiben kann. Und doch passiert so viel mehr. Jedes Bild ist bis ins kle­in­ste Detail durchkom­poniert und Tati lässt uns teil­weise Minuten in einer Ein­stel­lung um alles zu ent­decken. Sei es die ver­rück­ten Büros, wo wir Zuschauer von oben wie auf ein Schachfeld gucken dür­fen und die Arbeitsabläufe der Springer ver­fol­gen. Dann sind wir plöt­zlich wieder bei der Reiseg­ruppe und besuchen eine Messe auf der Staub­sauger mit Schein­wer­fern verkauft wer­den. Irgend­wann wird es Abend und wir befinden uns auf einer Party und Tati schafft es die Bilder so voll mit Leben zu füllen, dass jeder Kom­parse, jeder Stuhl, alles was zu sehen ist eine eigene Geschichte hat. Ich habe den Film direkt zwei mal nacheinan­der gese­hen und glaube man kann ihn unendliche Male sehen (eine Eigen­schaft die wirk­lich wenige Filme besitzen).

Der Film kommt quasi kom­plett ohne Dia­log aus, nur ab und zu hören wir was gesprochen wird. Aber die meiste Zeit gehen die Dialoge unter in dem Gemisch aus den All­t­ags­geräuschen und den Gesprächen aller Men­schen die zu sehen sind. Nor­maler­weise sagt ein Regis­seur bei einer Massen­szene den Sta­tis­ten, dass sie pan­tomimisch sprechen sollen, damit man die Dialoge der Haupt­per­so­nen ein­wand­frei aufnehmen kann. Hier ist es das Gegen­teil. Alle sprechen und über­all darf man mithören. Vor allem zaubert einem dieser Film ein Dauer­lächeln auf die Lip­pen, weil immer denkt, „hach, die kenne ich doch…“, wenn man wieder etwas ent­deckt. Tati schenkt uns Zuschauern mit diesem Film die Möglichkeit ihn wirk­lich auf ganz eigene Weise zu sehen. Klar irgend­wie ist das bei jedem Film möglich, aber nicht in dieser Form. Hier kann man sich ewig in den Bildern ver­lieren und trotz­dem ver­passt man nichts. Die Komparsen-Direktion ist das Beste was ich je in meinem Leben gese­hen habe, weil wirk­lich jede Per­son die auf der Lein­wand zu sehen ist, sein eigenes Leben hat. Man weiß ganz genau in einer Szene als sich ein Autokreisel durch die Musik zum Karus­sell ver­wan­delt, dass eine Fam­i­lie ger­ade auf ein Taxi wartet einen stres­si­gen Tag hatte. Tati ver­streut so cle­vere kleine Hints, dass wir immer im Stande sind zu kom­binieren und zu assoziieren.

Der Film fühlt sich an wie eines dieser Kinder­bücher „Wo ist Wal­ter?“, bei dem man den Jun­gen im rot­gestreiften Pullover mit der Mütze und der Brille suchen muss. Während man mit dem Dau­men über die Bilder fährt und die Augen das Bild kom­plett scan­nen findet man zahlre­iche kleine schöne Geschichten; das Kind dem die Eiskugel herun­terge­fallen ist oder einen Bär auf dem Fahrrad. Genauso fühlt sich Tatis Film an. Immer wieder trifft der Zuschauer auf die gle­ichen Charak­tere: der Betrunk­ene, die amerikanis­che Reiseg­ruppe, Mon­sieur Hulot oder Dop­pel­gänger (wie auch bei den Walther-Bildern).

Der Film ist Mod­ernismuskri­tik und –wertschätzung zugle­ich. Ein­er­seits zeigt uns Tati die beein­druck­ende Ästhetik in den wah­n­witzi­gen Bauten und ander­er­seits die Anonymität, Steril­ität und die Gle­ich­för­migkeit. Auf die tech­nis­che Entwick­lung, die in „Play­time“ immer wieder Män­gel aufweist, wie beispiel­sweise die beleuchtete Treppe in der Bar-Szene, antwortet Tati mit der Human­ität. Die Men­schen haben Charak­tere; Ecken und Kan­ten; Men­schliche Indi­vid­u­al­ität als Antwort auf die Ein­heitlichkeit der Umgebung.

Ich schließe mit den Worten Fran­cois Truffauts: 

„Play­time ist mit nichts zu ver­gle­ichen, was bere­its im Kino zu sehen war. Ein Film von einem anderen Plan­eten, wo man andere Filme dreht.“