[first published on Senfblog.de December 11th, 2012]
„Lolita“ war der erste Film von Wahlbrite Stanley Kubrick, der 1962 komplett in Großbritannien gedreht wurde und bereits seinen Hang zu kontroversen Geschichten zeigt. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Vladimier Nabokov, der auch das Drehbuch schrieb, schuf Kubrick einen Film, der beispielhaft für seine Zeit ist, in der Art wie vermieden wurde das eigentliche Thema offen auszusprechen und wie Kubrick in seiner Arbeit begrenzt wurde. „Lolita“ wurde auf Grund seines hebephilien Charakters sehr kontrovers aufgenommen, was aus heutiger Sicht doch verwunderlich ist, da der Film wirklich absolut nichts indiskretes oder erotisches zeigt, zumindest auf der Oberfläche nicht. Der Regisseur, dessen fünfter Film es war, sagte im nachhinein, dass er wenn er den Film noch ein mal hätte drehen können, die Erotik des Buches mehr eingebracht hätte, wenn nicht ob des Production Code und der Katholischen Kirche.[1] „Lolita“ wirkt wie ein klassischer Hitchcock-Film und schafft es leider nicht wie der britische Großmeister die Hürden seiner Zeit komplett verschwinden zu lassen.
Der Film wird non-linear erzählt und eröffnet mit der Tötung von dem Lebemann Quilty (großartig: Peter Sellers, „The Party“) durch den Hauptcharakter, den Literaturwissenschaftler und Autor Humbert Humbert (James Mason, „North by Northwest“). Dann startet die Geschichte 4 Jahre zuvor und Humbert sucht ein Zimmer in New Hampshire, um den Sommer dort zum Schreiben zu verbringen. Er zieht bei der Witwe Charlotte Haze (Shelley Winters, „The Night of the Hunter“), nachdem er deren 12-Jährige Tochter Lolita (Sue Lyon, „The Night of the Iguana“) im Garten erblickt und unheimlich angezogen von dem jungen Mädchen ist. Charlotte bemüht sich offen um den Junggesellen und kann ihn schließlich zur Heirat überreden, da er alles tun würde um in der Nähe von ihrer Tochter zu sein. Charlotte liest durch Zufall das Tagebuch von Humbert und ist erschüttert von dessen wahren Gefühlen, woraufhin sie aus dem Haus rennt und von einem Auto tödlich überfahren wird, was Humbert zum rechtmäßigen Vormund Lolitas macht. Dieser holt das junge Mädchen aus einem Feriencamp ab und verschweigt ihr zunächst den Tod der Mutter. Auf der Fahrt zurück stoppen sie in einem Hotel und der Filmproduzent Quilty ist durch Zufall auch vor Ort. Er gibt sich vor Humbert als Polizist aus und stellt ihm seltsame Fragen. Humbert zieht daraufhin aus Angst mit Lolita nach Beardsley, wo sie zur Schule geht und er eine Professur ausübt. Es kommt zu mehr Konflikten zwischen den beiden, da er notorisch eifersüchtig wird und ihr Leben komplett kontrolliert. Wieder erscheint Quilty vor Ort, diesmal gibt er sich als Schulpsychologe aus und spricht davon, dass Lolita sich seltsam verhalten würde. Humbert glaubt die Rolle und aus Angst, dass sein seltsames Verhältnis zu seiner Stief-Tochter auffliegen könnte, entscheidet er mit ihr zu fliehen. Beide reisen im Auto durch die USA und werden von einem mysteriösen Auto verfolgt, mit dessen Fahrer sich Lolita in Abwesenheit Humberts auch an einer Tankstelle unterhält. Plötzlich wird Lolita krank und muss in ein Klinikum. Dort will Humbert sie nach einer Nacht abholen, doch wurde sie schon von einem nicht existierenden Onkel abgeholt. Ohne jede Spur bleibt Humbert alleine zurück. Nach langer Zeit erhält er einen Brief von der inzwischen verheirateten Lolita und besucht sie daraufhin. Sie ist schwanger und führt ein Hausfrauenleben mit einem jungen Ehemann, Dick. Sie gesteht Humbert, dass Quilty der Mann war der ihnen gefolgt ist und sie mit ihm eine Affäre hatte. Sie bittet Humbert um Geld und er gibt ihr 13.000 Dollar von dem Verkauf des Mutterhauses. Dann fährt er los um Quilty zu töten und wir sind wieder am Anfang des Films. Im Abspann wird erklärt, dass Humbert an Thrombose starb als er auf seinen Prozess wartete.
Wie diese sehr lange Inhaltsangabe schon andeutet, ist „Lolita“ ein langer (152 Minuten) und komplexer Film. Kubrick und Nabokov entschieden sich wegen der strengen Medienüberwachung für eine sehr dezente, unterdrückte Erotik. Der Protagonist ist getrieben von dem Verlangen und doch sehen wir nie mehr als Kuscheleien, Handberührungen und Wangenküsse. Mason spielt den getriebenen Mann sehr glaubwürdig und man ertappt sich dabei sich zu wünschen, dass Lolita doch nur alt genug wäre. Die Frage nach der Rolle von Quilty in dem Spiel um Lolita wird zur Dominanten in dem Film. Daher auch der Vergleich zu Alfred Hitchcok: ein einfacher Man wird aus dem Leben gerissen, verfolgt und sehnt sich nach Liebe, nur gibt Kubrick sie im Gegensatz zum Master of Suspense am Ende nicht. Humbert fungiert auch als Erzähler und kommentiert im Voice Over die Handlung immer wieder mit subjektiven Eindrücken. Schwierig an dem Film ist die Art, wie vorsichtig mit dem offensichtlichen Thema der Geschichte, Pädophilie, umgegangen wurde. In dem Film wird alles nur angedeutet und oft kommen dann Schwarzblenden, wenn man sich nicht sicher ist, ob Lolita und Humbert nicht jetzt vielleicht etwas miteinander machen würden. Es wird nie deutlich, ob die beiden wirklich eine sexuelle Beziehung haben. Es wird zwar mehrmals angedeutet und Humbert betont seine Angst, dass andere etwas mitbekommen könnten, aber klar ist es nie. Die starke Zensur die über dem Werk schwebt, nimmt wirklich etwas von der Kraft der Anziehung die man spüren müsste von Seiten Humberts. Der Charakter ist sehr kontrolliert und intelligent gezeichnet, so dass er auch gar nicht unsympathisch wirkt, wie in der literarischen Vorlage. Lolita wirkt in diesem Film etwas hintenangestellt, so stark ist er fixiert auf seinen Hauptcharakter. Keine Gefühle von dem jungen Mädchen werden gezeigt, außer in den Streitereien mit ihrem Stiefvater. Die junge Schauspielerin, 16 war sie beim Dreh, Sue Lyon, spielt Lolita überzeugend. Allerdings wirkt sie deutlich älter als 12 (was wirklich ein Problem ist, da es entgegen der Thematik wirkt) und bekommt wie gesagt wenig filmische Aufmerksamkeit. Peter Sellers brilliert als Quilty in mehreren Rollen und zeigt vor allem als Dr. Strangelove-ähnlicher Charakter in der Rolle des Psychologen sein komödiantisches Talent. Teilweise wirken seine Auftritte aber unpassend lustig, so dass man das Gefühl bekommt, der Film kann sich nicht zwischen Komödie und Tragik entscheiden. Normalerweise geht Tragödie und Comedy zusammen, bei dieser Thematik ist es vorsichtig formuliert schwieriger. Dennoch tun dem langwierigen Plot die aufhellenden Auftritte Sellers gut, um den Zuschauer bei der Stange zu halten.
Die großartigen Schwarz-Weiß-Bilder für den Film lieferte Oswald „Ossie“ Morris der als einer der wichtigsten britischen Kameramänner aller Zeiten gilt und mit Größen wie John Huston oder Norman Jewison arbeitete. Einige Aufnahmen haben schon den prägnanten visuellen Stil der späteren Kubricks, die ihn so bekannt machten. Vor allem seine Totalen in der Landschaft sind wunderschön komponiert. Die Kamera arbeitet viel damit Humberts Räume enger zu machen und unterstütz sein langsamen psychologischen Niedergang gekonnt. Die Musik wurde komplett komponiert von Nelson Riddle und schafft es einerseits den verspielten Charakter des Mädchens zu untermalen und gleichzeitig die nötige Dramatik für Humberts Abstieg zu schaffen. Insgesamt ist „Lolita“ technisch perfekt und bereits Vorbote von Kubricks künstlerischem Anspruch, wenn auch alles noch sehr weit weg von den Meisterwerken „The Shining“ oder „Full Metal Jacket“ ist.
Trotz Abstrichen ein gelungener Film, der den schwarzen Humor des Buches einfängt aber stark begrenzt durch die Zensur seiner Entstehungszeit ist. Man merkt dem Film die Restriktionen an und dennoch funktioniert er. Kubrick hat es geschafft indem er den Fokus anders setzt eine neue Spannung zu kreieren, wenn er auch den Verlust des eigentliches Thema in Kauf nehmen musste.