[first published on Senfblog.de November 19th, 2012]
Irgendwie hatte ich diesen Film länger vor mir hergeschoben, obwohl ich als St. Pauli Fan und Hamburger eigentlich verpflichtet bin ihn zu sehen. Aber mir war klar, dass ein Film mit der Kombi Mario Adorf, Claude-Oliver Rudolph und Moritz Bleibtreu nicht gut sein konnte. Als ich dann auf der DVD-Hülle las: „ultimativer Fussballfilm“ aber keine Quelle angegeben war, nicht mal irgendetwas unseriöses wie „Hamburger Morgenpost“, ahnte ich schreckliches… Jungregisseur Tarek Ehlail hatte vor „Gegengerade — Niemand siegt am Millerntor“ (2011) nur „Chaostage – We are Punks“ (2008) gemacht. Der Film war in der Punkszene gut aufgenommen worden, aber bei der Presse hart kritisiert worden. Ehlail ist selber Punk und nicht Filmemacher; zweiteres merkt man dem großartig schlechtem „Gegengerade – Niemand siegt am Millerntor“ besonders an. Der Film ist ein schreckliches Durcheinander und trieft nur so vor Klischeehaftigkeit, was verwunderlich ist, wenn doch Ehleil das Ziel hatte zu zeigen, dass „St.Pauli viel mehr ist, als ein gewöhnlicher Fußballverein” (http://www.intro.de/news/newsticker/23060941/gegengerade-tarek-ehlail-setzt-fc-st-pauli-filmisches-denkmal).
Der Film erzählt vom Tag des Aufstiegs des Fc St. Pauli in die erste Liga und in Rückblicken bzw. Episoden werden die Schicksale einzelner Fans und deren Umfelder gezeigt. Die Hauptfigur wird gespielt von Timo Jacobs („Fleisch ist mein Gemüse“), alias Magnus, der sich durch den Film starrt als reicher Muttersohn der St. Pauli-Fan ist, aber viel lieber ein richtiger Punk aus armen Verhältnissen wäre. Dann ist da Fabian Busch („23 – nichts ist so wie es scheint“), als Arne, und spielt einen seiner zwei Freunde der alles mit einer Kamera dokumentiert (nur damit der verspielte Regisseur Ehlail ab und zu noch verwackeltere Aufnahmen als sonst schon reinstreuen kann) und dann wird das Protagonisten-Trio abgerundet von Dennis Moschito („Süperseks“, dem Quoten-Türken), als Pjotre, der hier als Quoten-Russe fungiert und halt irgendwie da ist und genauso unbeholfen wie die anderen Schauspieler durch den Film stolpert. Abgerundet wird dieser Ensemblefilm von „Stars“ wie Kathi Karrenbauer als reiche Hamburger Hausfrau… Say what?! oder Ferris Mc als reicher Geschäftsmann (genau, der Rapper hier im Anzug und unheimlich viel Schauspieltalent) der ganz böse zu Onkel Mario Adorf (als Imbissbesitzer in einer Paraderolle) ist; Dominic Horwitz hat auch einen Auftritt als Staatsanwalt der sich ähnlich wie der Rest des Ensembles an den Klischees entlanghangelt und einfach mal bei einem öffentlichen Imbiss den bösen Plan ausheckt die „St. Pauli-Zecken“ zusammen prügeln zu lassen. Moritz Bleibtreu spielt einen „Geschäftsmann“ was durch Sätze wie „Ihre Statistiken sind bisher mehr als Bescheiden“ sehr clever und schnell etabliert wird. Dieser Geschäftsmann ist reich und Ehlail macht durch ein paar Sätze klar, dass reich sein, gleich rechts sein ist und so feuert Bleibtreu nur so mit Ausländer-Sprüchen um sich. Natalia Avelon (die kleine Hübsche aus dem entsetzlichen „Das wilde Leben“) ist die Freundin von Magnus und arbeitet bei der mysteriösen bösen „Statistiken-Firma“ von Bleibtreu und Magnus hat extreme Probleme damit das seine Freundin so eine Kapitalistin ist. Dann ist da noch Claude-Oliver Rudolph als erfolgreicher Arzt durch den gezeigt werden soll, dass St. Pauli-Fans aus allen Klassen sind. All diese Charaktere stoßen irgendwo im Film aufeinander, jedoch passiert das nicht wie bei Alejandro González Iñárritu, dem Großmeister des non-linearen Erzählens in „Babel“ oder „21 Gram“ weil es nicht anders geht, sondern hier alles komplett willkürlich. So wie esgerade passen muss, treffen die Personen aufeinander die Konfliktpotential haben und dabei wird Nachvollziehbarkeit komplett über Bord geworfen. So erscheint beispielsweise ein Kommissar einfach immer aus dem Nichts um Pjotre zu verhaften, sei es in Mitten der Gegengerade zwischen 10.000 Fans oder halt bei einer Straßenschlacht im tiefsten St. Pauli.
Dass der Regisseur sehr jung ist, zeigt auch sein frühpubertärer Humor bei dem Lacher erzeugt werden sollen, wenn zwei Menschen Sex haben und auf die Autokonsole ejakuliert wird, und dann später jemand das Sperma mit den Händen abwischt und schmeckt um festzustellen was für eine Flüssigkeit da in seinem Auto ist (Es klingt lustiger als es ist). Der visuelle Stil des Films liegt irgendwo zwischen Musikvideo und Pseudo-Doku, Wackel-Kamera und dann wieder durchkomponierten Instagram-Bildern. Es ist eine einzige Katastrophe, voll mit Achsensprüngen und schrecklich unpassenden Einstellungen; nichts aber absolut nichts in diesem Film ist gedreht worden mit irgendeinem Plan von filmischen Regeln oder doch? Denn dann am Ende dieses Schrott-Werks gibt es eine “Braveheart”-ähnliche Zeitlupenmontage, denn der Regisseur ist sich der Wirkung dieses genial originellen Stilmittels voll bewusst und verstärkt den Effekt sogar noch mit klassischer Musik und Gesang. Was noch schrecklicher als das Visuelle bei diesem „Film“ ist, sind die Dialoge. Beispiele gefällig: Kathi Karrenbauer zu ihrem Sohn Magnus: „Wie wars denn gestern beim Einschreiben in der Uni?“ Ach wie Clever! Damit auch jeder Vollidiot weiß, dass der junge sein Leben nicht auf die Reihe bekommt, oder ein Nachschlag: „Och der Magnus ist immer weg Nachts und kommt ganz spät nach Hause. Das ist voll Scheiße.“. Ähhem Ja. Alles wirkt als ob der Regisseur einfach Klischees vorgegeben hat und die Schauspieler sich an den Skeletten entlanglang improvisieren mussten. Ich will gar nicht wissen, wie viel Budget dieser Trash hatte. Man sieht den Schauspielern förmlich das Geld aus den Taschen fallen; unglaublich wen der junge Regisseur da alles vor die Kamera kriegen konnte für diesen Schrott. Auch Theaterstar André Eisermann kriegt seinen Cameo. Er darf als Erzähler immer wieder zwischen den Episoden pseudo-intellektuelle Einwürfe über das Kämpfen und die Schlacht in Form von Onelinern reinwerfen. Das erinnert dann ganz stark an so Fitness-Studio-Prolls die erklären was ihre Chinesischen Tattoos bedeuten. Moralisch wird sehr früh verortet wie die Protagonisten im Film ticken, indem sie ein paar Nazis verhauen, die auch noch eine Frau vergewaltigt haben. Ich meine, wenn schon böse, dann richtig böse! Die drei Hauptfiguren wussten zwar nichts von der Misshandlung, aber wir Zuschauer kriegen das in einem verwackelten, verwischtem Flash-Back sehr subtil beigebracht. Das sind demnach also alles echt gute Jungs, diese Hauptfiguren! Die Schlägereien sind so entsetzlich schlecht choreographiert, dass eine Folge „Carsten Stahl“ oder „K11“ sich anfühlt wie „Cirque du Soleil“. Der Zuschauer hat während der Kämpfe keinerlei Orientierung und da man nie wirklich Schläge landen sieht gehen einem diese Szenen wie der St. Paulianer es sagen würde, am Arsch vorbei.
Es gibt keinerlei rote Linie in diesem Film und auch wenn der Deckmantel „Episodenfilm“ als Genre dies überschatten soll, ist das Verhalten der Figuren absolut nicht nachvollziehbar, wie alles in dieser Geschichte. Alles in diesem „Film“ ist wie ein HSV-Fan St. Pauli Fans beschreiben würde oder eine alte Oma Hooligans. Der große „Football Factory“ ist der Beweis wie mit deutlich geringerem Budget, aber guter Geschichte ein großer Film mit Tiefe über das Dasein der Hooligans gemacht werden kann. Es steht nämlich bei vielen mehr dahinter als das was hier gezeigt wird. Es ist nicht immer nur links gegen rechts und die Rollenverteilung ist auch bei einem Verein wie St. Pauli nicht so einfach. Natürlich kommen auch die Polizisten in „Gegengerade – Niemand siegt am Milelrntor“ schlecht weg, es darf ja schließlich kein Klischee über den Kult-Verein ausgelassen werden. In den Stereotyp der Pseudo-Linken gehört halt auch, dass alle Bullen obrigkeitstreue Schlägertrupps sind, die besonders gerne alte Menschen und vor allem am Boden liegende Opfer misshandeln. So ein bisschen fühlt sich das alles an, wie als ob der Regisseur seine Punkerfreunde beeindrucken wollte und irgendwie kann ich mir sogar vorstellen, dass dann im Kino geschrien wird und Flaschen fliegen.
Das was diesen Verein, St. Pauli, so besonders macht, ist, dass Menschen aus allen Gesellschaftsschichten hingehen und gefeiert wird egal ob Sieg oder Niederlage; auch in der dritten Liga kamen über 20.000 Zuschauer und es gibt eine offene Gemeinschaft wo eben nicht wie unter den Hauptfiguren das Revier permanent abgestochen wird, weil jeder willkommen ist. Es sind auch nicht alle Ultras von St. Pauli gleich Hooligans und schon gar nicht Auto-Anzünder/Vandalen. Es ist eine Schande, dass der Verein diesen Film unterstützt hat, weil er dadurch a) bewiesen hat, dass das Drehbuch nicht gelesen wurde, bevor dem Film zugesagt wurde und b) alle Menschen die diesen Scheiß gesehen haben jetzt das von St. Pauli denken. Das was am Millerntor passiert ist einzigartig und etwas wirklich besonderes in der Fussballwelt. Deshalb ist der Verein auf der ganzen Welt bekannt und Ehlail schafft nichts , aber auch gar nichts von diesem Gefühl was man im Millerntor-Stadion hat, einzufangen. Es ist nur zu hoffen, dass der Fc St. Pauli das nächste mal keinen blinden Praktikanten das Drehbuch checken lässt und das dieser Regisseur noch mal eine Filmhochschule besucht.