[first published on Senfblog.de January 21st, 2013]
Er ist da! Kaum ein Film wurde so heiß erwartet, wie der Neue von Kult-Regisseur Quentin Tarantino. “Django: Unchained” ist ein Western und durch die Natur des Genres stiegen die Erwartungen noch höher als bei anderen Filmen des Regisseurs, da die vorherigen Filme so viele Western-Elemente besaßen und gerade dramaturgisch stark an das Genre angelegt waren. Tarantino ist ein Filmexperte und mit Sicherheit der Regisseur (verfolgt von Godard und Kar-Wei) dessen Filme am meisten mit Intertextualitäten, Verweisen auf andere Filme, spielen und dennoch schaffen zu unterhalten und beeindrucken, auch wenn man als Zuschauer nicht jedes Zitat erkennt. Insofern hatte auch ich sehr große Erwartungen an “Django: Unchained” und muss leider gestehen, dass der hochkarätig besetzte Film mit Christoph Waltz (“Inglorious Basterds”, erneut zum Oscar nominiert in der Nebenrolle), Jamie Foxx (“Ray”), Leonardo DiCaprio (“Titanic”), Samuel L. Jackson (“The Avengers”, hier eindeutig der stärkste im Ensemble) und Kerry Washington (“The Last King of Scotland”) nicht an die Erwartungen heran kam. Es ist ein unterhaltsamer Film, aber erschafft nichts neues wie Tarantinos Meisterwerke “Reservoir Dogs” (1992), “Pulp Fiction” (1994) und “Jackie Brown” (1997). Bevor jetzt über Erwartungshaltung von meiner Seite diskutiert wird, muss dazu gesagt werden, dass der Regisseur mit Aussagen über seine Einzigartigkeit und die Besonderheit seines Œuvre selbst die Messlatte erhöht hat.
Django, gespielt von Foxx, ist ein Sklave, der von zwei gesuchten Verbrechern gekauft wurde und von Dr. Schultz (Christoph Waltz) befreit wird. Schulz ist Kopfgeldjäger und weiß, dass Django die Riddle-Brüder kennt, drei brutale Sklavenhändler die Django und seine Frau misshandelt haben. Schulz und der Sklave freunden sich an und der Deutsche wird zum Mentor. Django wird zum Kopfgeldjäger ausgebildet und erregt überall großen Aufschrei, weil er auf einem Pferd reitet und nicht wie die anderen Schwarzen als Sklave oder Bediensteter arbeitet. Gemeinsam beschließen sie Djangos Ehefrau Broomhilda von Shaft (Kerry Washington, ein ungeheuer einfacher Verweis auf die Nibelungen und den Blackploitation-Film) aus den Fängen des berüchtigten Plantagenbesitzer, Calvin Candie (Leonardo DiCaprio), zu befreien. Über den Winter sammeln sie zahlreiche Bounties und arbeiten an einem Plan. Sie geben sich als reiche Interessenten aus, die einen von Candies schwarzen Mandingo-Kämpfern kaufen möchten und treffen den Mann. Nach einem riesen Angebot für einen der Sklaven lädt er das Duo, trotz Skepsis gegenüber dem freien Schwarzen, ein, ihn in sein Haus zu begleiten und alle Details vor Ort zu klären. Stephen (Samuel L. Jackson), der oberste der schwarzen Diener im Haus, merkt, dass etwas mit den beiden nicht stimmt und deckt auf, dass sie hinter Broomhilde her sind. In einer großen Schießerei werden Schulz und Candie getötet und Django gefangen genommen und danach verkauft. Er kann sich auf der Überfahrt zu seinen neuen Besitzern befreien und reitet zurück und rettet seine Frau und zerstört die Villa.
Tarantino spielt wie immer bei seinen Filmen mit unheimlich viel Verweisen auf andere Filme, so ist der Charakter von Schulz gekleidet wie Klaus Kinski in “Il grande Silenzio” (Sergio Corbucci), der berühmte Shot der Reiter am Berg aus “Die Sieben Samurai” kommt vor und so weiter. Dennoch hatte ich noch nie so stark bei einem Tarantino-Film das Gefühl, dass all diese Verweise sich nicht zu einem verbinden. Wenn man, wie ich gerne Spagetti-Western guckt, dann erkennt man permanent alte Filme und erfreut sich, aber hier geht es nicht über das Lächeln hinaus. Der Film verliert sich in Zitaten und Effekthascherei. “Django: Unchained” ist klassischer erzählt als all die anderen Tarantinos. Es gibt eine James Bond-Kurve von Langsamen Hoch-Tiefer Fall-Comeback-Happy End, jedoch wirkt der Film trotzdem zusammengewürfelt, weil der Regisseur sich nicht zurückhalten kann und permanent kleine Szene einschiebt, die der Struktur schaden. So ist eine zwar unheimlich amüsante aber dennoch vollkommen deplatzierte Szene, die Ku-Klux-Klan Szene mit Jonah Hill (“Superbad”) und Don Johnson (“Miami Vice”). Ich finde diese 10 Minuten großartig, weil Tarantino es schafft mit banalem Humor sich über diese Rassisten lustig zu machen und mit herrlich unerwartetem Dialog die Dummheit dieser Menschen aufzeigt. Aber diese Szene reißt einen in dieser Länge und dem Cameo von Hill komplett aus der Handlung raus und nachdem man gerade noch bei dem Duo Waltz und Foxx ist, wirkt diese Szene wie ein kleiner Kurzfilm, der viel besser nach dem Abspann oder als DVD-Extra gepasst hätte. Für mich ist dieser Ausflug Tarantinos dennoch symbolisch für das Problem des Films: “Django: Unchained” ist zu chaotisch und der Regisseur verlor irgendwo zwischen Zitaten, Musik und versuchter Genre-Neuerfindung seinen Fokus für die Geschichte. Die Stakes in diesem Film sind zwar theoretisch hoch, es geht schließlich um eine Ehefrau, aber man spürt nichts davon, weil Tarantino sich viel zu sehr auf Humor und Dialoge konzentriert, anstatt auf Handlung und Charaktere. Waltz bringt als Schultz unheimlich viel Spaß in der Kombi mit dem zunächst schüchternen und später fast zu coolem Jamie Foxx, aber warum er sich verhält wie er sich verhält ist komplett schleierhaft. Warum hilft Schultz diesem Sklaven so sehr? Tarantino versucht durch kleine Einschnitte von Schultz der anscheinend Gewalt an Unschuldigen hasst (selber aber Kopfgeldjäger ist und nicht nach der Motivation der Banditen fragt sondern erst schießt) und immer wieder wegguckt, wenn Sklaven brutal misshandelt werden, gepaart mit der Nibelungen-Anekdote uns Zuschauer einen Grund zu liefern; jedoch reicht es einfach nicht. Genau das gleiche gilt für Django, man weiß zwar, dass er seine Frau zurück will, aber man spürt nichts von der Liebe die sie verbindet, was jedoch auch da dran liegt wie winzig die Rolle der Broomhilde gehalten ist. Ein Flashback von der Auspeitschung und sonst sieht man die schöne Frau nur heulen und Schreien, was sie eher nervig macht als empathisch. Sie soll hier rein als MacGuffin funktionieren, ist jedoch viel zu zentral in die Handlung eingebettet, weshalb man mehr erwartet. Tarantino hat bei “Jackie Brown” geschafft in zahlreichen Verweisen an das Blackploitation-Kino eine eigene Story mit extrem empathischen Charakteren zu schaffen und hier bei “Django: Unchained” gelingt es ihm nicht in dem Maß. Zwar ist der Film voll mit grandios lustigen Dialogen und Tarantino beweist wieder Mal, dass er einer der besten Dialogschreiber überhaupt ist, aber trotzdem verpasst er sehr viel Potential auf der Strecke. Normalerweise ist er ein Master des Suspense (er wird nie an den Wahren dran kommen) und schafft mit Szenen wie dem Polizistenverhör bei “Reservoir Dogs” Szenen (oder die Kellerszene bei “Inglorious Basterds”) die einem vor Spannung die Augen gar nicht zumachen lassen. Hier gibt es Szenen, die gerade zu gemacht sind für die Ausschöpfung und minutenlange Folterspannung wie DiCaprios Monolog bevor er die beiden entlarvt oder wenn Jamie Foxx mehrmals kurz davor ist seine Pistole zu zücken als er Broomhilde sieht. Aber Tarantino lässt diese Momente vorbei rauschen und offenbart seine Intention sofort (Du Zuschauer sollst denken er zieht die Waffe, dabei ist KOMPLETT klar, dass er die Waffe nie ziehen wird). Es fehlt an der spannenden Musik in den Szenen und generell ist “Django: Unchained” ein Beispiel für einen mittelmäßig bis schlecht geschnittenen Film. Der Showdown bei dem Django gefangen genommen wird, nachdem er fast das ganze Haus zerschossen hat, ist orientierungslos und verwirrend geschnitten. Man verliert komplett die geografische Verortung und Tarantino will uns durch die Bilder sogar glauben lassen, dass Django seine Frau sieht (der eine Pistole in einem komplett anderem Zimmer !!! an den Kopf gehalten wird). Außerdem ist die Szene durch die Zeitlupe eher etwas was an Milla Jovovic in “Resident Evil” erinnert oder den entsetzlichen “Wild Wild West”. Die ehemalige Stamm-Cutterin von Tarantino ist gestorben, was erklären könnte warum der Film so schwach ist im Vergleich zu früheren was den Schnitt angeht. Um mich jetzt nicht komplett zu verlieren in negativem und dadurch ein falsches Bild abzugeben, komme ich zu den Highlights, die dieser Film trotz der Kritik viele hatte. Ich war fast die ganze Zeit gut unterhalten, auch wenn mir die Handlung komplett egal war, genau wie fast alle Charaktere. Waltz bringt Spaß, auch wenn er lange nicht so gut ist wie in “Inglorious Basterds” was vielleicht daran liegt, dass die Figur dort mehr Tiefe trotz weniger Screentime hatte. Darüber hinaus hat man das Gefühl eine recycelte Version von Landa zu sehen, halt einfach nicht so gut wie damals. Jamie Foxx funktioniert gut, wenn auch etwas langweilig in Momenten. DiCaprio schafft es mal wieder seinem unheimlich weiten Repertoire etwas dazu zu addieren und füllt die Rolle des einfachen Gockels im Pseudo-intellektuellen Mantel genial aus. Ich würde mir sehr wünschen ihn öfters in solchen Rollen zu sehen, dennoch stielt am Ende einer allen ganz deutlich die Show: Samuel L. Jackson is back! Jackson spielt Stephen den “Hausneger”, wie er genannt wird, als Mischung aus Stereotyp-Onkel Tom und Strippenzieher hinter den Kulissen. Er erinnert an Kevin Spaceys Darstellung in “The usual Suspects“, so beeindruckt hat mich seine Ambivalenz. Einerseits ist er der hechelnde kleine Hund der sich an Candies Bein reibt wenn er etwas will, aber innerhalb von Sekunden legt er den Gehstock ab, erwacht zur Jugend richtet sich auf und dann verändert sich etwas im Gesicht und man ist sich plötzlich seiner Macht bewusst. Er ist der weißeste von allen und vor allem der Böseste. Er weiß es, den dumm naiven Candie zu kontrollieren und ihm immer genug Leine zu lassen. Für mich katapultiert sich L. Jackson mit dieser Vorstellung zurück zu der Stärke, die ihn bekannt gemacht hat.
Tarantino spielt nicht nur in der Rolle des Stephen mit Stereotypen, die aufgebrochen werden, sondern nutzt es quasi als Leitmotiv Klischees zu zerstörten. Auch wenn man nicht weiß warum, trotzdem ist Schulz ein deutscher der Sklaven befreit und kein Rassist ist sondern das Gegenteil. Django ist „one in Ten Thousand“, der eine Sklave der sich nicht unterdrücken ließ. Auch die Rolle von DiCaprio als Candie, bricht mit seinem Ruf als Schönling erneut und trotz dieser Ansätze verpasst Tarantino den großen Schuss. Er kommentiert zwar durch seine Überbenutzung des Wortes „Niggers“ sehr clever die Debatte um das Wort und macht auch mit dem Film deutlich, dass er eindeutig kein Rassist ist (wie ihm unter anderem von Spike Lee vorgeworfen wurde). Er benutzt das Wort so exponentiell viel, dass jeder Charakter mit der Art wie er das Wortes ausspricht eine eigene kleine Geschichte offenbart, die in unser Interpretation liegt. Aber dennoch bleibt „Django: Unchained“ am Ende nicht mehr als nette Unterhaltung und für mich zeichnet sich eine ganz stark abfallende Tendenz bei Mr. Tarantino. „Death Proof“ war absolut entsetzlich und wäre ohne den Unfall nicht zu ertragen gewesen, „Inglorious Basterds“ war ein großes Durcheinander mit Higlights und jetzt der bessere aber immer noch weit von den 1990er Filmen entfernte „Django“. Auch visuell ist der Film weit hinter „Kill Bill“ oder dem simplen aber viel passender gefilmten „Reservoir Dogs“. Hier mal ein Snap Zoom und viele Einstellungen, die auf Filme verweisen, aber in den entscheidenen Momenten verpasst Tarantino uns Zuschauer einfallslose Kameraeinstellungen. Der schon angedeutete Showdown der ein großer „Let Down“ ist, so schwach ist er inszeniert, hat viel mehr von einem schlechten Action Film als einer Neu-Interpretation der Western Kameras. Man vermisst den klassischen Duell-Shot komplett und Kameralegende Robert Richardson („JFK“) bleibt hinter seiner Normalform. Ab und zu ist die Quadrage (der Ausschnitt) mit Absicht schräg, was dann sicher wieder eine Referenz ist, aber einen wieder Mal eher raus wirft als rein holt in die Handlung. Auch die Musik ist nicht so wie sonst bei Tarantino: Zwar macht er mit Hip Hop etwas ungewohntes für Western, aber auch „Wild Wild West“ hatte das schon und der tolle „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ (1969) wurde begleitet von Popmusik.
„Django: Unchained“ ist ein Film den man nehmen sollte als köstlich lustige und brutale Westernhommage, die aber weit hinter Genreklassikern wie den Leone-Filmen, Corbucci, aber auch neueren Werken wie dem extrem unterschätzten Neo-Western „Ride with the Devil“ (1999) von Ang Lee bleibt. Man hat seinen Spaß als Zuschauer, aber mit dem Anspruch, dass Tarantino etwas wirklich neues macht oder gar Genregrenzen erweitert, scheitert der Film klar. Wegen des großartigen Samuel L. Jackson und einem sehr guten DiCaprio hat dieser Film trotzdem sehr Erinnerungswertes. Was für mich ganz klar ein Problem war, ist wie sehr sich Tarantino inzwischen seinem Kultstatus bewusst ist. Ich finde man merkt dem Film eine ungeheure Selbstverliebtheit an und wie auch schon der schrecklich kalkulierte Trash „Machete“, stört das extrem. Jetzt überfliege ich meine Kritik und merke, dass ich viel härter ind er Analyse bin, als mein Gefühl während und unmittelbar nach dem Film. Aber gute Filme halten einer solchen Prüfung nicht nur Stand sondern wachsen durch sie. Leider ist „Django: Unchained“ nicht mehr als unterhaltsames Effektspektakel mit keinerlei Tiefe bzw. vorgetäuschter.