Mole, der tiefgrabende Autor zahlreicher kleiner Senfblog-Meisterstücke, schuldet mir jetzt gerade 13,50€ und was viel mehr wiegt, 119 Minuten plus 45 Minuten Hin– und Rückfahrt, also 164 Minuten meines Lebens (Danke für den Tipp!). So teuer und lang ist Detlev Bucks 3D-Film „Die Vermessung der Welt“. Die Adaption von dem Weltbestseller schrieb Regisseur Buck zusammen mit dem Autor des Originals von 2005, Daniel Kehlmann. Das könnte bei anderen Filmen helfen, also dass der Buchautor beteiligt ist, hier hat es mit zu einem der seltsamsten Filme der letzten Jahre beigetragen. Ich meine nicht dieses „Lynch-seltsam“ sondern eher „Was tue ich mir hier gerade an-seltsam“. Ich habe das Buch vor dem Film nicht gelesen, bin aber auch der Meinung, dass für eine Film-Kritik das nicht nötig ist, da (wie es in dem sehr empfehlenswertem Podcast „Filmspotting“ immer wieder heißt) „a film is a film and a film is a film“. Der Film hat bis heute bei einem Budget von 10,5Millionen Euro mit 392.000 Zuschauer (http://www.filmstarts.de/kritiken/198902.html) mehr als deutlich sein Ziel verfehlt und ich hoffe mit dieser Kritik die Gründe offenzulegen, warum dieser Film verdientermaßen so floppt.
„Die Vermessung der Welt“ erzählt in extrem gerafften und sehr eigenartig ausgewählten Episoden die Biografien von dem Naturforscher Alexander von Humboldt (Albrecht Schuch, „Neue Vahr Süd“) und dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß (Florian David Fitz „Vincent will Meer“). Der komplette Plot wird chronologisch erzählt, beginnend in den Kinderjahren beider und steuert dann auf die erste Begegnung der beiden Genies am Ende ihres Lebens zu. Die beiden Erzählstränge kontrastieren sich stark, so stammt Gauß aus ärmsten Verhältnissen und kann nur durch ein königliches Stipendium seinen Forschungen Zuhause im eigenen Land nachgehen. Humboldt ist von Anfang an an der Natur begeistert und bereist mit dem Geld seiner adligen Familie ferne Länder. Nachdem Buck in gefühlten 7 Minuten die Kindheit der beiden Wissenschaftler abgehakt hat springt der Film und beide sind junge Erwachsene. Die Geschichte um Humboldt konzentriert sich auf seine Südamerika-Reisen mit dem Franzosen Bonpland (Jérémy Kapone, „LOL (Laughing Out Loud)“), während bei Gauß seine Vermessung der Welt komplett im Kopf erledigt wird und die Liebesgeschichte zur jungen Frau Johanna im Fokus steht. Ehrlich gesagt fiel mir eine Synopsis noch nie so schwer wie in diesem Fall, weil der Film so dermaßen sorglos und unbedeutend daher kommt. Keiner Episode wird die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und irgendwie ist es ein einziger Sprint durch die Geschichte. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich einen Kinderfilm oder einen Softporno gesehen habe, vielleicht war es auch eine dieser schrecklichen Dokumentationen mit Schauspielern. Als Nebendarsteller sehen wir u.a. Katharina Thalbach als Gauß Mutter, Theater-Star Michael Maertens als Herzog von Braunschweig, David Kross als Gauß Sohn und Vicky Krieps als Gauß Ehefrau ihre Paychecks abholen.
Detlef Buck weiß bei „Die Vermessung der Welt“ nicht im geringsten was er will. Am Anfang war ich mir komplett sicher in einem schlechten Kinderfilm zu sitzen, so offensichtlich und albern werden alle Figuren eingeführt. Sofort ist mit den ersten Gesten und Mimen klar, der ist böse, der nett oder der reich. Alles ist Klischee und kaum eine Geschichte wird so naiv erzählt wie diese. Doch dann als wir uns schon in dem Erwachsenenleben von Gauß befanden nach so etwa 20 Minuten schlief dieser plötzlich (wirklich plötzlich, so wie alles in diesem Film) mit einer Prostituierten. Die Bilder waren in dieser Szene die ganze Zeit so quadriert, dass man fast das Geschlechtsteil von Gauß sehen konnte an der die Dame rumspielte. Während dieser quälendenden Soft-Porno-Szene von 3 Minuten „philosophierte“ Gauß und ich wusste, dass ich eigentlich den Kinosaal verlassen müsste, wenn nicht ob dieser Kritik. Das blieb nicht das einzige Mal, Buck nutze noch mehrere Szenen dafür um junge Frauen sich entkleiden zu lassen und ihnen wirklich fast zwischen die Beine zu gucken.
Nur weil ein Film zwei Erzählstränge hat zwischen denen hin und her geschnitten wird, heißt das nicht das die beiden einzelnen Plots chaotisch erzählt werden dürfen. Der Film springt und das nicht wie „Cloud Atlas“ indem er inhaltlich sich Türen schafft, metaphorischer Art, oder wie „Stay“, visueller Art, Nein er springt einfach. Es wird so schlecht mit den Hauptfiguren umgegangen, dass Empathie nicht mal in den Mund genommen werden darf. Es ist unmöglich bei dieser Erzählweise irgendetwas als Zuschauer zu verspüren und dadurch, dass der Film keinem Genre zugehört, ist man im Kinosessel auf permanenter Suche nach etwas Halt. Teilweise gibt es Szenen in denen deutet die Musik auf Spannung und Grusel hin jedoch sehen wir Schauspieler, die versuchen lustig zu sein. Das sind dann Entscheidungen die direkt auf den Regisseur zurück zu führen sind, der den armen Darstellern hier wirklich eine extreme Falle gestellt hat. Zugegeben Florian David Fitz ist kein guter Schauspieler und Albrecht Schuch anscheinend auch nicht. Aber in diesem Film merkt man ihnen die fehlende Führung so extrem an. Teilweise war es eine richtige Qual den jungen Männern dabei zu zusehen sich an den schrecklich einfallslosen Dialogen entlang zu hangeln während ihnen entweder einer geblasen wird oder sie an gebratenem Menschenarm knabbern. Fitz und Schuch wirken wirklich hilflos und die Studio-Kulissen vereinfachten ihnen das Einfinden in die Geschichte sicherlich nicht. Ich habe mich nach dem Film gefragt, ob ich wirklich Genies gesehen habe und muss diese Frage eindeutig mit Nein beantworten. Nur weil da jemand umher stolziert und Zahlenrätsel vor sich hin plappert ist er kein Mathematiker und dieser Umgang mit einer Thematik ist typisch für Buck. Auch bei „Same Same But Different“ handelt er die Liebesgeschichte unter dem Aids-Thema in Klischees und wie bei einer Einkaufsliste von oben nach unten ab.
Für die Kamera konnte Sławomir Idziak gewonnen werden, der schon für Legenden wie Krzysztof Kieślowski („Drei Farben: Blau“) oder Ridley Scott („Black Hawk Down“) die Bilderführung inne hatte. Idziak kann gute Bilder machen und hat auch hier, vor allem in der Natur um den vermeintlichen Amazones herum, fotografiert wie in einerBBC– oder National Geo-Dokumentation. Aber schöne Bilder und wichtige Bilder sind zwei paar Schuhe. Die Natur-Bilder in diesem Film wirken wie losgelöst von der Geschichte und teilweise sind sie es auch. Das muss man sich mal vorstellen: plötzlich in diesem Film sehen wir im Zeitraffer einen Schmetterling sich aus dem Kokon entfalten. Warum? Weil Buck findet, dass es schön aussieht. Mindestens 10 Mal in diesem Film sind einfach zwischen den Episoden wunderschöne Insekten zu sehen und man fragt sich halt einfach, Why? Die Kamera unterstützt hier nie den Inhalt sondern täuscht über den Mangel an ihm hinweg. Manche Menschen nennen das Kino, aber es ist nicht mehr als Gehirnablenkung. Keines dieser Bilder haben wir nicht schon im Fernsehen oder auf Fotos besser gesehen. Diese Aufnahmen haben wirklich nur das Ziel über die fehlenden Übergänge hinweg zu täuschen. Generell ist der Film, vorsichtig formuliert, sehr bunt. Vielleicht ist es treffender mit folgendem Beispiel zu veranschaulichen: man gibt einem kleinen Kind so ein Fingerfarben-Set und es darf sich komplett austoben. Dabei stolpert er und seine eine Hand taucht so tief in die Grüne Farbe, dass 70% des Bildes grün ist. Dann schlucken wir LSD und schauen uns sein Bild an – so sieht „Die Vermessung der Welt“ aus. 3D dient bei diesem Film, egal was Buck auch in Interviews behaupten mag, komplett den vermehrten Kinokasseneinnahmen. Es ist nicht durch den Inhalt begründbar, warum 3D die beste Variante ist diese Geschichte zu erzählen. Es ist selten, dass 3D so gerechtfertigt ist wie bei Herzogs Meisterwerk „Cave of Forgotten Dreams“, aber das muss der Anspruch sein. Nur weil Buck und Idziak ständig Gegenstände direkt vor der Kamera platzieren wird der Film nicht zum richtigen 3D-Erlebnis. Teilwiese ist es wirklich verdammt nervig, dass die Kamera wieder hinter einem Pahl oder ähnlichem hervorlugt, nur damit einem dieser Gegenstand im Kino näher erscheint. Fast immer wenn Räume gefilmt wurden, wirkt das Bild verzogen und ich habe mich die ganze Zeit gefragt warum. Ich glaube, dass der Film in unterschiedlichen Formaten aufgenommen wurde und dann im Nachhinein teilweise gestreckt werden musste. Das ist natürlich nur eine Vermutung, aber anders kann ich mir nicht erklären, wie solche verzerrte Aufnahmen entstehen könnten. Zu dem Sound lässt sich nicht viel sagen, außer dass er nicht so auffällig schlecht ist wie der Rest. Aber anstatt im Urwald mal die Natur tonal Überhand nehmen zu lassen, kriegt man permanent nur die verdammt nervigen Stimmen von Humboldt und seinem französischen Begleiter präsentiert.
Ich bin wirklich glücklich, dass dieser Film so schlecht läuft, weil ein Projekt, dass derart chaotisch und arrogant daher kommt, nichts anderes verdient hat. Fast die komplette Presse stimmt darin überein, dass dieser Film entsetzlich ist und die, die das nicht tun, sind in dem Budget von 10,5 Mio inbegriffen. Sehr treffend wurde in der Zeit-Kritik resümiert: „Bucks Film ist eine Bilderflut, aber kein Kino. Niemand kann sich zwei Stunden lang an Naturaufnahmen begeistern und dabei auch noch zwei Nachwuchsschauspielern zusehen, die sich ungelenk durch eine Geo-Reportage bewegen.“ Am Ende ist es ganz einfach: Detlev Buck ist ein unbehutsamer Filmemacher und das mag für einen Film wie „Knallhart“ als Ausnahme perfekt sein, aber für „Die Vermessung der Welt“ war es komplett falsch.
Fazit: Sehr krass wie sorglos Buck mit einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Büchern umgegangen ist. Aber bei diesem Film ist nicht nur die Regie-Arbeit schlecht sondern fast alles mit kleiner Ausnahme von einzelnen Bildern